Florian Holsboer

Personalized Medicine

Die Entscheidung, welche Therapie für den erkrankten Menschen jeweils die beste ist, um seine Leiden zu heilen oder zumindest die Symptome zu lindern, hat schon immer die aktuelle Lebenssituation des Einzelnen berücksichtigt und war in diesem Sinne stets personalisiert. Leitgedanke war seit jeher, gestützt auf die Diagnose, die bestmögliche Therapie für den individuellen Patienten zu wählen.

Die Diagnose allein gibt uns aber nicht Auskunft über die biologischen Mechanismen, die im Einzelfall zur Erkrankung geführt haben. Zwei Patienten mit Depression können nach eingehender Erhebung von medizinisch relevanten Informationen im Gespräch mit dem Arzt nahezu identische Befunde haben. Die krankheitsverursachenden Mechanismen können dennoch verschieden sein. So kann die Depression beim einen auf einen Mangel des Botenstoffs Serotonin in relevanten Hirnarealen zurückzuführen sein, beim anderen sind es zu hohe Konzentrationen verschiedener Stresshormone im Gehirn. Natürlich gibt es noch viele andere Mechanismen, von denen wir bei weitem nicht alle kennen, die an der Entstehung der Depression und deren Verlauf beteiligt sein können. Dies hat für die Behandlung weitreichende Konsequenzen. Diese Unterschiede lassen sich erst durch genetische und biochemische Tests – sogenannte Biomarker – erkennen. Bei einem Biomarker kann es sich um im Labor messbare Veränderungen von Molekülen in Zellen oder in Körpersäften handeln. Beispiele hierfür sind Veränderungen der Stresshormonkonzentration bei vielen Patienten mit Depression, oder von Molekülen, die bei Entzündungen erhöht sind. Typischerweise normalisieren sich die Biomarkerwerte im zeitlichen Zusammenhang mit der erfolgreichen Behandlung. Auch in bildgebenden Verfahren erkennbare Veränderungen, etwa der Größe von bestimmten Hirnregionen, die für die Depression relevant sind, können als Biomarker zur Vorhersage des Therapieergebnisses herangezogen werden.

Eine andere Kategorie Biomarker leitet sich von der Genetik ab. In diesem Fall ist der Biomarker aber nicht zeitlich an das aktuelle Krankheitsgeschehen gebunden, also zustandsunabhängig. Vielmehr geben genetische Biomarker unabhängig vom klinischen Zustand Hinweise auf das Erkrankungsrisiko oder welche Medikamente besser als andere sind, um ein gutes Therapieergebnis zu erzielen.

Diese Biomarker ergänzen die gewohnte medizinische Untersuchung und die daraus abgeleitete Diagnose. Auf Biomarker gestützte Begleitdiagnostik erlaubt die Erforschung und Entwicklung von Antidepressiva, die zielgenau auf denjenigen Mechanismus im Nervensystem gerichtet sind, der die Depression oder Angsterkrankung verursacht. Damit helfen die Biomarker, das für den individuellen Patienten am besten geeignete Medikament zu identifizieren und damit das optimale Therapieergebnis zu erzielen. Die Biomarker helfen auch, bisher unbekannte Krankheitsmechanismen zu erkennen und darauf gestützt grundlegend neue Medikamente zu entwickeln.

Es gilt: „the most specific your drug works the more you need to know from your patient“ oderwie es Hippokrates formulierte:„Es ist wichtiger zu wissen, welche Person eine Krankheit hat, als zu wissen, welche Krankheit eine Person hat“.

Florian Holsboer